Problemlage an Schiefer Ecke

Stadtratsrede von Tina Siebeneicher

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen im Rat,

ich beschäftige mich seit 3 Jahren als Neustädterin intensiv mit der Situation an der Schiefen Ecke und der Frage, wie ein rücksichtsvolleres Nachtleben in der Neustadt gelingen kann. Die Problemlage ist komplex, ob Verbote helfen, ist fraglich, sicher ist, mit Verboten allein ist sie nicht zu lösen. Es gibt nicht die Neustadt, sondern verschiedene Bedürfnisse der Menschen, die dort leben und sich dort
aufhalten.

Lärm macht auf Dauer krank, deshalb müssen wir einen Weg finden, wie spät in der Nacht und in den frühen Morgenstunden der Lärm auf den Straßen reduziert werden kann. Aber, das ist nicht das einzige Problem. Die Anwohner*innen beklagen ebenso die Müllberge am Morgen, Glasscherben und das Wildpinkeln. Auch diese Probleme müssen im Blick bleiben.

Der Stadtbezirk hat in den letzten Jahren eine Vielzahl an präventiven Maßnahmen unterstützt und ich denke, die zeigen bereits erste Erfolge. Zum Beispiel das Einziehen der Bass-Boxen in der Nacht durch das Ordnungsamt oder die Arbeit der Nachtschlichter. Ich sehe es auch als einen Erfolg, dass es bisher keine Ausschreitungen an der Ecke gab. ABER trotz vieler Maßnahmen ist der Lärmpegel immer noch zu hoch für Menschen, die schlafen wollen und müssen. Und es wird von Politik und Verwaltung eine
Lösung erwartet.

Wie sich die Situation an der Schiefen Ecke jetzt – nach dem Ende der Corona-Maßnahmen – entwickelt und was die insgesamt wiederbelebte Neustadt mit sich bringt, bleibt abzuwarten. Mir persönlich fällt es schwer das einzuschätzen, denn die letzten zwei Pandemie-Jahre waren nicht repräsentativ. Clubs waren geschlossen, Festivals gab es nicht und fast alle Feiernden haben sich im Freien – vor allem in der Neustadt – getroffen. Und dennoch sehen wir BÜNDNISGRÜNE, wie groß der Wunsch vieler Anwohner*innen nach einer Verbesserung der Situation ist. Deshalb werden wir nach langer, intensiver Abwägung, einen ordnungsrechtlichen Eingriff zulassen – ohne jedoch gleich die ganz große Verbotskeule zuzulassen.

Wir waren lange gegen ein Alkoholabgabeverbot. Nun wollen wir herausfinden, ob der Verkaufsstopp in den späten Abendstunden hilft, die Situation zu entspannen, wenn wir Freitag- und Samstagnacht ab
Mitternacht den Verkauf auf die Straße in der Äußeren Neustadt verbieten. Wir wollen das zunächst auf diesen Sommer begrenzen und bis zum 30. September befristen, um die Wirkung danach kritisch zu überprüfen.

Der zweite Vorschlag, ein Alkoholkonsumverbot im öffentlichen Raum am Wochenende ab 20 Uhr, ist ein sehr weitreichender Eingriff, der zudem pauschal unterstellt, dass alle, die Alkohol auf der Straße trinken zugleich Ruhestörer sind. Aus meiner Sicht ist das ein unverhältnismäßiger Eingriff in den öffentlichen Raum, der alle, die sich ihr Bier nicht in der Kneipe kaufen wollen oder können, benachteiligt. Das wäre vielmehr eine Notlösung als eine Lösung, denn es verursacht unmittelbare Verdrängungseffekte in andere Ecken der Neustadt, in denen ein solches Verbot nicht gilt.

Eines ist in der Debatte im Ausschuss aber auch deutlich geworden: Der Alkoholkonsum wird vom Ordnungsamt mit dieser Vorlage ganz generell als Krücke genutzt, in der Hoffnung den Lärmpegel durch neue Verbote nach unten zu bekommen. Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass viele für
den Lärm einzelner in Mithaftung genommen werden.

Ich musste in den letzten Wochen aber auch einige seltsame Debatten im Stadtteil miterleben. Die Einwohnerversammlung im April war dabei ein trauriger Höhepunkt. Das sogenannte Assi-Eck zu feiern und Anwohnende, die sich davon gestört fühlen, einfach nur nieder zu pöbeln, bringt uns nicht
weiter. Denn die Neustadt ist nicht nur ein Kneipen- und Partyviertel, sondern auch ein Wohnviertel. Und zudem ist es ein Stadtteil mit sehr vielen Familien mit kleinen Kindern. Wer es politisch ernst meint, sollte also an einem Interessenausgleich mitarbeiten, statt nur die eigenen Bedürfnisse knallhart   zu vertreten. Die Neustadt zeichnet sich bis heute durch Vielfalt und Lässigkeit im Umgang
miteinander aus. Nachdem sich der Frust über die Dauerparty in den letzten Jahren extrem aufgebaut hat, müssen wir wieder miteinander ins Gespräch kommen und über Dialogformate nach Lösungen suchen.

Es kommt darauf an, herauszufinden, was die Neustadt will. Das soll bei einer Zukunftskonferenz Thema werden. Das sollten vor allem diejenigen ernst nehmen, die nicht wollen, dass Ordnungsamt und Polizei zum Dauereinsatz im Stadtteil unterwegs sind. Wenn die Neustadt Szeneviertel bleiben soll, braucht es mehr Engagement in eigener Sache. Da geht es dann doch um etwas mehr als nur Party unter dem Slogan #GEBTDASBIERFREI.

Wir müssen Orte schaffen, wo Feiern ohne Konsumzwang möglich und gewollt ist. Und wir müssen diese Orte in ganz Dresden suchen. Während in anderen Stadtteilen die Nachtruhe ab 22 Uhr so konsequent durchgesetzt wird, dass jedes Nachtleben im Keim erstickt wird, drängen immer mehr Menschen in die Neustadt. Im übrigen auch Touristen, die im Urlaub noch nicht 23 Uhr zu Bett gehen wollen. Wer die Probleme in der Neustadt lösen will, muss neue Freiräume schaffen.